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Zwischenruf: „Im Radsport hat im Verlauf seiner Laufbahn fast jeder gedopt.“

Weihnachten, eine hervorragende Zeit um sich auch die letzten Sympathien zu verscherzen.

„Die Existenz von Doping bedroht das Sportsystem nicht existenziell, wohl tut dies aber das Reden über Doping.“

(Michael Gamper)

Also Thema D: ich hab oft überlegt, ob es sinnvoll ist auf meine Radrennsportzeit hinzuweisen, wo ich ohnehin nur hinterher gefahren bin.Manch einer verschweigt diese Zeit, aber das könnte auch bei mehr als einem ins Auge gehen. Manch einer überhöht auch gern die eigene Karriere und ich frage mich dabei ob man wirklich mit Radrennprofi werben sollte, wenn man ein Jahr Mitglied in einer GS3-Truppe war?

Wie dem auch sei, Radprofis sind auch nur Menschen und sind daher weiterhin genauso potentielle Doper wie alle anderen, neue Generation hin oder her. Die man übrigens ungefähr 3 Stunden nach dem legendären Geständnis von Herrn Aldag und Herrn Zabel 2007 ausgerufen hat. Die Überraschung Jahre später war dann nicht wirklich, dass dieses Geständnis eine mind. ebenso große Lüge war, sondern, dass die Lüge durch Nachtests zufällig noch bewiesen werden konnte.

Soweit Rolf Aldag 1998, kurz zusammengefasst:

  • Spätestens seit Anfang 1992: Systematisches Doping im Team Telekom
  • Juli 1998: Interview vor Millionen Zuschauern im Heute-Journal
  • Sommer 2006, Operation Bergpass, T-Mobile trennt sich von Teammanager Olaf Ludwig, Nachfolger Rolf Aldag will ein eigenes Anti-Doping-Programm auflegen
  • September 2006: Der Spiegel schreibt im Artikel „Glaube nichts“: „Vor allem besitzt Aldag etwas, was für T-Mobile….extrem wertvoll ist: Glaubwürdigkeit.“
  • Winter 2006/2007: Im Interview vom Tour-Magazin auf die Frage nach Epo, Wachstumshormon, Amphetaminen: „Neee, um Gottes willen! Ich hätte keine Nacht mehr ruhig schlafen können.“
  • 24. Mai 2007 mittags: gemeinsames Geständnis von Aldag und Zabel
  • 24. Mai 2007 abends: Rolf Aldag ist bei Maybrit Illner total gegen Doping
  • Juni 2007: DOSB ist stolz wie Oskar, denn Aldag und Zabel wollen NADA und WADA unterstützen, die Jugend über die Gefahren des Dopings aufklären, Sonderapplaus von Thomas Bach und Michael Vesper
  • Januar 2012: Aldag ist massiv enttäuscht über den Zustand seines Sports, will im Radsport allenfalls noch als technischer Berater für Tony Martin zur Verfügung stehen
  • März 2013: Tony Martin fordert lebenslängliche Sperren für Doper
  • Juli 2013: Veröffentlichung von Nachtests, in Folge dessen ein 2. Geständnis von Erik Zabel

Soviel mal dazu, wie das im (Rad-)Sport läuft, ich erkenne bei 5-minütigem Nachdenken ein paar Widersprüche, die Causa Dürr zeigt aber, dass es wohl ewig so weitergeht, die ewigen Lügen, die kaputten Funktionäre, die Vertuschung in den Verbänden, das Schweigen vieler Medien etc.. Zur Anti-Doping-Kampagne von 2007 ist es übrigens nie gekommen, hust. Vielleicht auch besser so, denn was sollte Aldag sagen: „Seht her, wohin das führt, ich stand nicht nur immer unter Strom und war damit immer erfolgreich und damit beliebt, sondern habe auch konstant gelogen, selbst als alle anderen schon am Arsch waren wie Virenque und später Ullrich. Werde nach wie vor gern von Florian Naß und Kollegen interviewt, an Sperre oder Geldstrafe kann ich mich auch nicht erinnern, bin nach wie vor dick im Geschäft. Seht euch dazu im Vergleich mal Jaksche an, der wirklich Klartext geredet hat.“

„Wenn es ernst wird, muss man lügen“

(Jean-Claude Juncker)

Die Heuchelei ist das Problem

Das Problem ist ja nicht wirklich das Doping. Ja, die ARD ist total gegen Doping, weil es gesundheitsschädlich ist, hat damals die Millionen vom gesponserten Radprofiteam abgezogen und es in das manipulationsfreie Profiboxen gesteckt, witzig. Von Radtouristen, Radsportfans und Rennfahrern die selbst dopen hört man dann gern: „Ja, aber sieh doch mal beim Fußball nach, die dopen doch genauso“.

Für einen sauberen Radrennfahrer ein schwacher Trost und irrelevant, denn er tritt nicht gegen gedopte Fußballer, sondern gegen gedopte Radfahrer an.

„Der Radrennsport ist ein unrühmliches Beispiel dafür, dass ein Großteil des Publikums durch seine Selbsttäuschungen und seine ausbleibende Empörung dazu beigetragen hat, dass Doping in dieser Sportart über Jahrzehnte nicht entscheidend bekämpft wurde.“

(Prof. Dr. Karl-Heinrich Bette, Tour-Magazin 12/2012)

Wer sich glücklicherweise nicht so intensiv mit der Materie befasst hat, wird auf die verschwindend geringe Anzahl positiv getesteter deutscher Athleten verweisen. Das ist so, war schon immer so, Prof. Dr. med. Dirk Clasing stellte aber 2007 fest:

„Dennoch, in bestimmten Kraft- und Ausdauersportarten, zum Beispiel dem Radsport, hat im Verlauf seiner Laufbahn fast jeder gedopt.“

…und weiter:“ Diese Vermutung deckt sich mit einer Studie von Sportwissenschaftlern der Universität des Saarlandes in Saarbrücken.“

(Ärzteblatt 2007: Doping: Die Verschleierungstaktiken werden immer raffinierter)

Jetzt also Erfurt, Thüringen, E.on, hust, von diesen 3 Fahrern wird es doch hoffentlich niemand sein. Und wenn doch, wird sich da irgendwas ändern, werden vermeintliche Sportjournalisten realisieren, dass sie Teil des Problems sind und in Zukunft weniger „Fans sein, die es über die Absperrung geschafft haben?“

Christian Frommert erklärt mal kurz, wie das läuft, bei der Gelegenheit schöne Grüße an die deutschen Triathlonmagazine:

 

Warum schreibe ich den Radrennsport nun trotzdem in meine Sportbiographie?

  • Nicht, dass Läufer und Schwimmer wenig trainieren würden, aber als Radrennfahrer ist man noch mehr an lange und überlange Einheiten gewöhnt und kennt die zentrale Bedeutung des Umfangs: Den ganzen Winter wenig trainiert und dann 2 Wochen auf Mallorca sehr hohe Umfänge gefahren? Man merkt sofort den riesigen Leistungszuwachs, inzwischen durch Powermeter auch gut belegbar. Sprint-, Kurzdistanz ist eine andere Baustelle, aber über Langdistanz, über Ironman spielt der Stoffwechsel eine noch wichtigere Rolle als sogar im Radsport.
  • Zentrale Bedeutung Aerodynamik: Wer Radrennen gefahren ist, weiß, was das ausmacht und sollte auch sofort erkennen, dass bei einer Kurzdistanz mit Windschattenfreigabe die Disziplinen Schwimmen und Laufen entscheidend sind, denn bei Tempo 40 im Feld kann quasi jeder mitrollen. Je größer das Feld, desto einfacher ist es, logisch. Habe ich beim Schwimmen eine Minute Rückstand auf das Feld habe ich auch mit großer Radstärke keine Chance. Ein Trainer vom Laufen kann das theoretisch auch wissen, hat aber nicht selbst erfahren was das ausmacht unterschätzt das daher öfter. Ein Trainer vom Schwimmen weiß, dass die Reduzierung des Wasserwiderstands neben der Kondition im Schwimmen zentral ist, ob er das aufs Rad ummünzen kann ist etwas anderes.
  • Ausrüstung/Material, ein vielfacher Ironman-Sieger sinngemäß: „Im Triathlon kann die Hälfte der Profis keinen Reifen wechseln!“ Ich bin seit 1986 mit dem Rennrad unterwegs, weiß allein schon aus Interesse über jede Schraube Bescheid und weiß eben auch genau, dass man mehr als eine Jacke braucht, für 4 Jahreszeiten und alle Bedingungen ausgerüstet sein sollte.
  • Thema D: Ich geb’s zu, ich war auch mal ein Fan, 1986 auf jeden Fall, ich weiß nicht, wann das aufhörte. Gefährliche Entwicklung im Triathlon mit dem Merchandising, mit dem Fankult, wer sich Socken oder Kaffeetassen von seinem Star kauft, wird kaum noch neutral urteilen können. Nun hab ich im Triathlon wesentlich mehr über Doping mitbekommen als im Radsport, allein schon deshalb, weil ich wesentlich länger Triathlet bin als ich Radsportler war. Was mir aber spätestens seit diesem Jahr klar ist: die Heuchelei im Triathlon ist mind. genauso groß wie im Radsport!

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